Schulsystem in Polen: Auswanderer und Familienvater Kai berichtet
Auswandern mit Kindern ins Ausland ist immer eine Herausforderung. Wie bekomme ich meine Kinder in die hiesige Gesellschaft integriert? Wie gut ist das Schulsystem in Polen im Vergleich zu Deutschland? Was muss ich tun, damit meine Kinder schnell und effizient die neue Sprache erlernen? Fragen über Fragen, die uns Kai exklusiv in diesem Gastartikel beantwortet. Er lebt schon seit 2017 mit seiner Familie in Polen und erklärt ausführlich das Schulsystem in Polen.
Das Auswandern, in ein zum Teil unbekanntes Land, stellt schon einen Erwachsenen vor große Herausforderungen. Insbesondere die sprachlichen Hürden, und die daraus resultierenden fehlenden sozialen Bindungen, sind nicht zu unterschätzen. In meinem Video „Auswandern nach Polen – Diese 5 Punkte solltest du beachten!“ habe ich eine persönliche Einschätzung, der häufigsten Gründe einer Rückwanderung abgegeben. Hat man zudem Kinder im Schulalter oder sollten diese als Vorbereitung in den Kindergarten oder die Vorschule, kommen weitere Besonderheiten des jeweiligen Ziellandes hinzu. Das Schulsystem in Polen bietet viele Unterschiede und für meinen Geschmack auch ein paar Vorteile gegenüber dem deutschen Schulsystem.

Polen ist aufgrund seiner geographischen Lage und der sichtlichen Nähe zu Deutschland für viele Menschen ein Geheimtipp zum Auswandern geworden. Die deutlich jüngere Gesellschaft und die aufstrebende Wirtschaft in den Großstädten zieht immer mehr Menschen an. Der Stempel „Billig-Lohn-Land“, welcher Polen in den 90er Jahren aufgedrückt worden war, scheint immer mehr zu verblassen. Schätzungsweise rund 8000 Deutsche wandern jedes Jahr nach Polen aus – darunter auch Familien, die ihre Kinder in das Schulsystem in Polen integrieren müssen.
PISA-Studie: Polen liegt vor Deutschland!
Als wir im Jahr 2017 mit unseren 3 Kindern nach Polen ausgewandert sind hatten wir uns natürlich im Vorfeld über die offensichtlichen Unterschiede informiert. Vieles erkennt man aber erst bei genauerer Betrachtung und vor allem dann, wenn man seine eigenen Erfahrungen machen konnte. Als wir Freunden und Bekannten erzählten, dass unsere Kinder bald eine polnische Schule besuchen werden, bekamen wir hin und wieder kurzzeitiges Augenrollen zu sehen. Vor dem Hintergrund, dass Polen bei der PISA Studie 2018 (Weltweit) Platz 10 erreichte und Deutschland weitere 10 Plätze dahinter lag, erscheint mir das aus heutiger Sicht der Unwissenheit des Augenrollers geschuldet. Natürlich sollte man sich nicht komplett auf solche Studien verlassen, die regionalen Unterschiede sind nicht zu unterschätzen und die schulischen Förderangebote in Großstädten wie Lodz oder Warschau sind viel umfangreicher.

Gängiges Klischee: „Sind Schulen in Polen nicht sehr nationalistisch geprägt?“
Diese Aussage, schön verdeckt in einer Frage, durfte natürlich auch nicht fehlen. Vom Grundverständnis her muss man erst einmal die Liebe der Polen zum eigenen Land verstehen. Daraus resultiert der gesunde Drang bei jeder Gelegenheit die Fahne zu hissen und „Marsch Marsch Dąbrowski“ zu singen. Für einen jahrelang mit dem Schuldcharakter geprägten Menschen aus Deutschland dürfte das schwer zu verstehen sein! Denn Nationalstolz gibt es dort nur, sagen wir es mal einfach gestrickt: „In einem negativen Zusammenhang“!
In Polen hingegen sieht man die Nationalfarben Weiß-Rot im Alltag sehr häufig. Junge Männer tragen Pullover mit dem goldgekrönten weißen Adler, in der Tanke gibt es Duftbäume in Landesoptik und selbst der Kindergärtner hat seinen Kaffeebecher Untersetzer in den Farben des Heimatlandes. Schon im Kindergarten lernen die Sprösslinge viel über Heimat und Vaterland, in der Schule wird zudem die Nationalhymne gesungen. Bei Feierlichkeiten werden kleine Fahnen zum Schwenken ausgeteilt und auch bei Sportveranstaltungen ist Polen als Land immer präsent. In meinem YouTube Video „Aufklärung der deutschen Bevölkerung“ gebe ich leicht verständliche Einblicke in den polnischen Nationalstolz und hoffe somit auf ein klein wenig Verständnis der kommenden Generationen.
Einige werden sich jetzt mit Sicherheit Fragen wie sich das auf deutsche Kinder im Schulunterricht auswirkt! Ehrlich gesagt kann ich das nur für uns beantworten, und wir hatten dies bezüglich keine Probleme. Unsere Kinder sind zweisprachig aufgewachsen und hatten somit keine Einschränkungen bezüglich der Sprache und den daraus resultierenden fehlenden sozialen Kontakten.
Bildungssystem in Polen: Katholische Kirche und ihr Einfluss
„Die Römisch-Katholische-Kirche ist mit einer Anhängerschaft von 87% der Bevölkerung mit Abstand die größte Konfession in Polen.“ So liest man das bei Wikipedia und viele denken jetzt sehr wahrscheinlich der Druck der Kirche müsse dadurch immens hoch sein. Tatsächlich läuft das aber sehr gemäßigt ab! Auch die 10% nicht religiös organisierten, darunter können wir uns auch zählen, haben ein ruhiges und entspanntes Leben. In polnischen Schulen gibt es keinen Ethik-Unterricht wie dies in Deutschland der Fall ist. Möchte man sein Kind am Religionsunterricht teilnehmen lassen muss man dies über eine Einwilligung erteilen. Willigt man nicht ein, so verbringen die Kinder die Religionsstunde in einer Betreuung in der Schule. Das Unterrichtsfach Religion findet in der Regel immer in den ersten Unterrichtsstunden seinen Platz, niemals aber in der letzten Stunde. Ein Schelm wer hier böses dabei denkt!
Kindergärten und Kindertagesstätten
Die außerhäusliche Unterbringung von Kindern unter 6 Jahren ist in Polen ähnlich geregelt wie in Deutschland. Unter 3-jährige werden in einer Kindertagesstätte aufgenommen, über 3-jährige Kinder in einem Kindergarten. Es gibt staatliche Einrichtungen in beiden Bereichen, sowohl aber auch kirchliche Träger und Organisationen mit wirtschaftlichen Interessen. Letztere bieten in der Regel zusätzliche Optionen an, wie beispielsweise Sprachunterricht durch entsprechend ausgebildete Muttersprachler. Wandert man mit Kindern ohne ausreichendes Sprachniveau aus, sollte man sich in jedem Fall vor der Anmeldung in einer Einrichtung über die Möglichkeiten informieren. In den Großstädten, oder auch in deutsch-geprägten Gegenden des Landes, findet man zudem auch deutschsprachige Einrichtungen. Natürlich wird auch in Polen bei der Anmeldung in einer Kita die Berufstätigkeit der Eltern berücksichtigt, des Weiteren werden alleinerziehende Mütter bzw. Väter bevorzugt.
Schulsystem in Polen im Überblick
Vorschule und Schulpflicht
Im Jahr 2017 gab es im polnischen Schulsystem eine Bildungsreform, in dieser wurden grundlegende Änderung in Bezug auf den Besuch und die Dauer der einzelnen Stufen vorgenommen. Im Alter von 6 Jahren besuchen die Kinder eine Vorschule (przedszkoła/ zerówka), mit dieser beginnt in Polen die Schulpflicht. Diese unterscheidet sich aber signifikant von der deutschen Schulpräsenzpflicht. In Polen müssen Kinder eines bestimmte Alters am Unterricht teilnehmen und Leistungen erbringen, diese Schulpflicht können sie aber auch im Distanzunterricht, dem so genannten „Homeschooling“ erfüllen. Die in Deutschland vorherrschende Schulpräsenzpflicht bedeutet hingen, dass schulpflichtige Schüler für den Unterricht in der Schule sein müssen. Diese wurde nur im Zuge der Corona Maßnahmen in den letzten Jahren teilweise ausgesetzt. Auch in Polen regt sich seitens der Politik zunehmend eine kritische Haltung gegenüber dem alternativen Unterricht-Stil. Die so genannte „Wolken-Schule“ findet immer mehr Anhänger und drängt den klassischen Schulbesuch ins Abseits.
Grundschule:
Im Anschluss an die Vorschule besuchen die Kinder die Grundschule (szkoła podstawowa). Diese wurde im Jahr 2017 um die Sekundarstufe 1 (gimnazjum) erweitert und schließt nach 8 Jahren mit einem Test in der 8. Klasse ab (egzamin ósmoklasisty). In diesem Test bekommen die Schüler eine prozentuale Beurteilung in 3 Fächern: Polnisch, Mathematik sowie eine Fremdsprache. Die Testung in einer Fremdsprache können die Schüler umgehen, wenn sie in den Jahren zuvor erfolgreich an einer Sprachen Olympiade teilgenommen, und diese mit einem der ersten Plätze abgeschlossen haben. Zusammen mit der prozentualen Beurteilung aus dem Achtklässler-Test und dem Abschlusszeugnis bewerben sich die Kinder in einer weiterführenden Schule. Es sei noch erwähnt, dass mit dem Abschluss der 8. Klasse auch die Schulpflicht in Polen endet.
Mein Kind hat die Note 6 im Fach Deutsch bekommen!
Die Note, welche ich in der Überschrift genannt habe, sollte in der Regel für deutsche Schüler obligatorisch sein. Sehr oft wird aber auch nur eine 5 vergeben, den das „Ausgezeichnet“ heben sich die Lehrer in der Regel für außergewöhnliche Leistungen auf. Man muss also auch im Fach der Muttersprache etwas aus der Masse heraus stechen, in weniger deutsch geprägten Gebieten also kein Problem. Im polnischen Schulsystem sehen die Schulnoten folgendermaßen aus:
6 – celująca (Ausgezeichnet)
5 – bardzo dobra (Sehr gut)
4 – dobra (Gut)
3 – dostateczna (Befriedigend)
2 – dopuszczająca (Ausreichend)
1 – niedostateczna (Ungenügend)
Wie man sehen kann ist die Schulnote „Mangelhaft“ nicht vorhanden und die Note 6 ist eine besondere Auszeichnung, deswegen kann man in Polen die klassischen Noten theoretischerweise auf 5 Stufen reduzieren. In Deutschland hingegen findet man das „Sehr gut“ auf der Note 1 und ein zusätzliches „Mangelhaft“ auf der 5. Ob das polnische Schulsystem vorteilhafter ist kann ich per se nicht erkennen, darüber hinaus stehen wir Benotungen in dieser Art und Weise sehr kritisch gegenüber. Das würde aber jetzt mit Sicherheit den Rahmen sprengen und ich verweise in diesem Thema gerne auf einen anderen zukünftigen Bericht von mir.
Großer sichtlicher Unterschied für uns!
In Polen geben die Lehrer nach Beendigung der 8. Klasse keine persönliche Empfehlung an die Eltern weiter. Wer schulpflichtige Kinder hat und das deutsche System kennt, wird mit der Empfehlung des Lehrers, bzw. der Schule etwas anfangen können. Die so genannte Grundschulempfehlung in Deutschland ist meines Wissens nach nicht bindend und gibt eher eine gewisse Richtung vor. In Polen geschieht diese Einschätzung nicht, die Schüler und die weiterführenden Schulen orientieren sich am letzten Schulzeugnis und den Prozenten des Achtklässler Tests.
Zawodówka, liceum czy technikum? Jaką wybrac szkołę?
Nach einem Jahr Vorschule (zerówka) und den 8 Jahren Grundschule (szkoła podstawowa) werden sich alle Schüler die oben stehende Frage stellen!
- 3 Jahre Zawodówka
- 4 Jahre Liceum
- 5 Jahre Technikum
Die 3 Jahre Zawodówka ähneln in manchen Zügen der Berufsschule aus Deutschland, hier werden einfache Berufe gelehrt. In den 3 Jahren gibt es Workshops an verschiedenen Plätzen und in unterschiedlichen Räumen. Unternehmen bieten zusätzliche bezahlte Praktika an und nach der Ausbildungszeit hat man einen Beruf erlernt und kann arbeiten gehen. Klassische Berufe wie der Bäcker, der Koch, der Automechaniker oder der Schlosser bzw. Schreiner fallen unter diese Art der Ausbildung.
Das Liceum entspricht der gymnasialen Oberstufe und schließt nach 4 Jahren mit dem erreichen des Matura (Abitur) ab. Mit diesem Abschluss kann man studieren gehen und somit seinen Hochschulabschluss in verschiedenen Bereichen erlangen. Zur Auswahl stehen hier Abschlüsse wie der Bachelor (licencjat), der Zahnarzt (lekarz dentysta) oder der Bachelor in Ingenieurwissenschaften (inżynier).
Beim Technikum legt man die Matura in der 13. Klasse ab, im Anschluss kann man wie beim Liceum auch studieren gehen. Das Technikum hat im Vergleich zum Liceum den Schwerpunkt auf Berufsgruppen gelegt, dadurch findet man in der Praxis im Anschluss an die Ausbildung leichter eine Arbeitsstelle. Viele nutzen diese Möglichkeit um neben dem Studium, vorzugsweise am Wochenende, unter der Woche arbeiten zu gehen um Geld zu verdienen.
Digitalisierung an polnischen Schulen
Während unserer ersten 2 Jahre hier in Polen ist uns der Fortschritt in manchen Bereichen schon sehr stark aufgefallen. Sei es das Problem, dass sich Deutschland ein wenig auf seinen Lorbeeren ausgeruht hat, oder aber die Initiative der 3 Meere, welche seit dem Jahr 2015 die Telekommunikation in Polen vorangetrieben hat. Was nun genau den Ausschlag gibt kann ich nicht sagen, für uns Eltern ist es hier in Polen aber tatsächlich ein klein wenig unkomplizierter geworden. Führte man in Deutschland noch ein so genanntes Kommunikations-Heft zwischen den Lehren und den Eltern, so ist das hier alles online organisiert. Die komplette Kommunikation läuft schon in der Grundschule über entsprechende Portale ab, selbst die Noten der Kinder und die geschriebenen Prüfungen kann man hier einsehen. Entschuldigungen bei Krankheit oder Fehlstunden übermittelt man auch ganz bequem online, in Sekunden ist die Nachricht an die Schule übermittelt.
Ausflüge und Schuljahresbeginn
In Bezug auf die Ferien und den Schulbeginn gibt es auch einige Unterschiede zu Deutschland. In Polen fängt das Schuljahr am 1. September an, es endet in der ersten Juni Woche. Darunter fallen alle Schulen in komplett Polen! Zusätzlich richten sich auch die staatlichen Kitas & Kindergärten nach diesen Regelöffnungszeiten. Die Noten stehen also schon 2-3 Wochen vor dem eigentlichen Ferienbeginn fest. In dieser Zeit finden Ausflüge und andere Aktivitäten in der Schule statt, alternativ kann man die Kinder auch entschuldigen und Zuhause betreuen. Manch einer nutzt die frühe Zeit und fährt vor der Hauptsaison mit den Kindern an die polnische Ostsee oder in die Berge, warum dies ohne Probleme möglich ist hatte ich ja bereits weiter oben erwähnt. Hat man die groben Züge seiner Auswanderung nach Polen geplant, sollte man die Zeit in jedem Fall mit dem Ferienkalender abstimmen.
Schulsystem in Polen: Nicht alles Gold, was glänzt!
Obwohl das Schulsystem in Polen viele Vorteile bietet, so gibt es natürlich auch Nachteile und Herausforderungen. So hatten wir auch eine problematische Homeschooling Zeit während die Regierung absichtlich das Leben herunter gefahren hatte. Zudem haben in dieser Zeit viele Lehrer ihren Lehrauftrag auf die Eltern abgewälzt. Danach wurde es noch schlimmer, die Hausaufgaben und die anstehenden Prüfungen haben sich unserer Meinung nach um fast 50% erhöht. Den Kindern blieb also kaum mehr Zeit für das wirklich WICHTIGE AM LEBEN, nämlich dem Spaß an der Kindheit. Zunehmender Druck, der auf den jüngsten unserer Gesellschaft lastet, fordert meiner Meinung nach in ein paar Jahren seinen Tribut. Aus diesem Grund haben wir uns, gemeinsam mit unseren Kindern, entschieden einen anderen Weg des Lernens einzuschlagen. Die Möglichkeit sein Kind an einer Schule anzumelden, welche komplett auf eigenständiges Lernen umgestellt hat, ist in Polen möglich.
Viele Grüße und ein herzliches do widzenia
Euer Kai